Konzert 3
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Als sie 2008/9 nach Hongkong und Guangzhou reiste, fühlte sich die südkoreanische, heute in Berlin lebende Komponistin Unsuk Chin in ihre Kindheit zurückversetzt. Die armseligen Quartiere der Städte, unweit der modernen Zentren mit ihrer glitzernden Konsumwelt gelegen, erinnerte sie an die 60er Jahre in Seoul, als Südkorea noch von Armut und Diktatur geprägt war und die industrielle Modernisierung erst bevorstand. «Als Kind habe ich», so sagt sie, «insbesondere eine Unterhaltungstruppe immer wieder erlebt. Diese Laienmusiker und -schauspieler tingelten von Dorf zu Dorf, um den Leuten selbst hergestellte Medikamente, die bestenfalls wirkungslos waren, anzudrehen. Um die Menschen zu locken, führte man Theater mit Gesang, Tanz und diversen Kunststücken auf…» Dieses Strassentheater steht im Zentrum von «Gougalōn».
Unsuk Chin, die schon immer eine Neigung zum surrealen Charme des Abseitig-Alltäglichen, etwa zu Graffiti, hatte, verleiht dieser «imaginierten Volksmusik» ein raffiniert schräges Gewand. Subtil etwa ist das Spiel zwischen Flaschen und Dosen, und der Gesang der kahlen Sängerin (das Absurde Theater eines Eugène Ionesco lässt grüssen) wird nicht zur schrillen Groteske, sondern erlangt eine wunderbar morbide Eleganz. Nichts ist, wie es scheint, und von da her ist auch der Titel zu verstehen: Das althochdeutsche Wort «Gougalōn» bedeutet soviel wie «vorgaukeln», «vortäuschen» oder «Wahrsagerei betreiben».
Nicht vergessen ist damit, dass hinter diesen skurrilen Szenen mit seiner fernöstlich geschärften Farbigkeit auch die sozialen Gegensätze hineinwirken.
Bildhaftigkeit und Erinnerung spielt auch bei der Russin Vera Ivanova eine Rolle, die heute an der Chapman University in Kalifornien arbeitet und lehrt. Im Gegensatz zu Unsuk Chins Werk handelt es sich hier um abstrakte und statische Bilder, eben «Still Images», die auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Statisch sind sie, weil sie sich, obwohl im Innern bewegt und agil, kaum entwickeln. Immer wieder kippt das Stück zum Ausgangspunkt, einem fein umspielten Zentralton, zurück. Der Titel «Still Images of the Restless Mind» umschreibt das Stück vielleicht noch treffender: So hiess die erste Kammerorchesterfassung des Stücks von 2006. Die Musik reflektiere einen Gemütszustand, wie wenn wichtige persönliche Bilder aus der Kindheitserinnerung in einen vom Alltag verwirrten Geist zurückkehren. Die Bilder wirken unverbunden und beziehen sich insgeheim doch aufeinander.
«Changements» nennt der Bündner Martin Derungs, einst Schüler von Benedikt Dolf, sein Stück, und er möchte das durchaus wörtlich verstanden wissen, als allmählich sich verändernde Textur. Die Musik ist äusserst sparsam gehalten, die Elemente und Passagen werden eher in den Klangraum gestellt, sie bleiben einander heterogene. Nur momenteweise entwickelt sich etwas. Schliesslich entdichtet sich der Klang noch mehr. Zurück bleiben einzelne, lose nebeneinandergesetzte Linien im Raum.
«Arena II» von Magnus Lindberg geht auf ein älteres Stück namens «Arena» von 1995 zurück und reduziert das Sinfonieorchester auf sechzehn Instrumente. Flirrende Flächen, darüber ein markiges Terzmotiv: dieser Gegensatz von undeutlichem Vibrieren und klaren Tonfolgen bildet die Ausgangslage, aus der sich viele und weite Variationen entwickeln, durchaus schön, gelegentlich pulsierend und dramatisch – und erinnernd an die grossen sinfonischen Vorläufer, gerade auch Sibelius. Die Motive sind da nicht nur Ankerpunkte für das Hören, sie gestalten sich ständig um und führen das Ohr weiter.



































































